Die Kristallzwillinge (Arkon 3) von Ben Calvin Hary

Der dritte Band des Arkon-Minizyklus ist der Heftroman-Erstling des Saarbrückener Autors Ben Calvin Hary. Inhaltlich schildert er die tödliche Auseinandersetzung zweier Brüder, deren einer nicht mehr bei Sinnen ist. Und die Auseinandersetzungen im Weltraum, in den technischen Anlagen der Raumschiffe, in visualisierten virtuellen Welten und parapsychischen Innenräumen.
Wie es sich für einen Erstling gehört, wurde der Roman sehr sorgfältig geschrieben und das merkt man ihm an. Er knüpft an die turbulenten Ereignisse in Band 2 an, „Aufstand in Thantur-Lok“ von Suzan Schwarz an, in denen Perry Rhodan, Gucky und das rückwärts alternde, uralte Mädchen Sahira in Rhodans Privatjacht MANCHESTER durch ein Asteroidenfeld fliehen. Thantur-Lok ist der Kugelsternhaufen M 13 und in der Serie der Machtbereich der Arkoniden, die von geheimnisvollen Impulsen bedroht sind, welche viele von ihnen durchdrehen lassen. An Bord haben sie den von Gucky herbeiteleportierten Orbanaschol-Zwilling Kerlon. Dessen Zwillingsbruder Kassian kommandiert das Schlachtschiff ATLANTIS, das sie mutwillig beschießt. Kerlon ist immun gegen den seltsamen Einfluss, weil sein Extrasinn nicht aktiviert werden konnte. Für arkonidische Verhältnisse ist er damit ein Verlierer. Bei seinem Bruder hingegen hat alles geklappt, auch karrieremäßig, was ihn aber anfällig für den ominösen Dunklen Impuls macht, dessen verhängnisvolle Auswirkungen der Minizyklus behandelt. Sprich: Kassian ist durchgedreht und äußerst gefährlich und sein Bruder auf der Seite der Guten. Auf dem Titelbild sind sie abgebildet: ruhiger als im Roman, wobei die lebensechten Gesichter zu loben sind. Ihre seltsame Betrachterpose erklärt sich aus den beiderseitigen Manipulationen an Schiffspositroniken.

Die Flucht durchs Asteroidenfeld, mit der der Roman beginnt, las sich zu Ende des Vorromans von Suzan Schwarz wie eine Szene aus einer ganz alten SF-Serie, in der sie mit einem metallisch glänzenden winzigen Raumschiff über die dicht gepackten Asteroiden hüpfen. Entsprechend altmodisch fängt dieser Roman an: sehr expressiv mit sich durchs All fressenden sonnenheißen Energiefingern und einer Raumlinse, deren Pilot geschickt den Thermostrahlen ausweicht. Das bringt die nostalgische Stimmung rein, die diesen kleinen Zyklus durchzieht.

Die sehr expressiv geschilderten Ereignisse – Triebwerke bäumen sich auf und so weiter – gehen auf in der Schilderung der Gesichter von Eleas und Marv: einer dunkelhäutig, der andere mit stets flimmerndem Sehfeld vor Augen. Die Anfangssequenz entpuppt sich als Simulation, die die beiden betrachtet haben. Der ganze Roman ist voll Personen und Simulationen.

Wie bespreche ich die Geschichte, ohne zu spoilern? Sehr schwer, weil die Abläufe in lobenswerter Weise miteinander verwoben wurden. Nun, es gibt mehrere Handlungsebenen: Rhodan, Gucky, Sahira und Kerlon, der sich in Ermangelung der echten Adelsqualifikation, des Extrasinnes, zu einem sehr zähen, begabten Techniker entwickelt hat. Er tut alles, um das Schiff zu reparieren, wird gleich zu Anfang schwer verletzt , immer wieder hochgepuscht und wieder hochgepuscht und stirbt dann doch.

Diese mehrfach wiederholten Wiederbelebungen bringen umfangreich dargestellte physische Verletzungen ein. Physisch unappetitlich sind die vielen schmutzigen Kleidungsstücke in Marvs Bude, die allesamt Holoeigenschaften haben. Sie gehören dem Handlungsstrang um Marv, Eleas und Kassian an: es geht um die Bedienung der Positronik, um zerstörerische Befehle und den Versuch, die Programmierung heimlich so zu ändern, dass der Schaden verhindert wird. Bei körperlicher Nähe und virtuell bedingter Ferne der persönlichen Aktivitäten. Hier haben wir Simulationen, farbenreiche Personenbeschreibungen, Holoshirts und eine Optitrav genannnte Sehhilfe. Deren flirrendes Feld im weiteren Verlauf der Handlung oft genug Marvs Gesicht verbirgt, wenn der blasse, durchgedrehte Arkonide und der dunkelhäutige Eleas in undurchschaubarer Weise mit den Manipulationen an der Programmierung des Schiffes interagieren.

Zu der äußeren Handlung um Menschen und Katsugos genannte Kampfroboter kommen zwei umfangreiche Innenhandlungen, und zwar einerseits die angenehm verhalten gezeichnete Konkurrenz zwischen den Brüdern und zweitens ganz viele „Fraktal-Landschaften“ und so weiter genannte visualisierte Interfacelandschaften. Diese konnte ich nicht so recht einschätzen, weil ich weiß, dass es sehr viele Neuerungen auf diesem Gebiet gibt, von denen ich als Normalverbraucher keine Ahnung habe. Was war reine Phantasie, was dann doch eine erfundene Variante wirklich existierender Abläufe? So verkündete ich meinem Sohn, der mit so Mensch-Maschine-Zeugs zu tun hat, dass er die entsprechenden Seiten 20 bis 24 lesen muss, wenn ich vom Perry-Rhodan-Stammtisch in Mannheim zurück bin. Er lachte. Ich fuhr nach Mannheim. Mein Problem löste sich dort, als eine Viertelstunde nach meinem Eintreffen der Autor persönlich zur Tür hereinspaziert kam und ich ihn im weiteren Verlauf des Abends mal grob danach fragen konnte. So erfuhr ich, dass er insgesamt optisch und visuell veranlagt sei und diese Sequenzen einfach ausphantasiert hatte. Was die Information war, die ich hatte haben wollen. Auch Gucky befindet sich immer wieder in einer Traumlandschaft.

Sich reihende Traumbilder hatte ich in der EA in letzter Zeit paar zu viel und ich mag sowieso Dinge, mit denen man etwas tun kann. Funktionierende Gegenstände und Handlungssequenzen innerhalb der Bildabläufe. Ich bin nicht übermäßig visuell veranlagt, so dass die massive Bilderflut nach einiger Zeit für mich anstrengend wird. Formulierungen wie „eilte er eine Straße hinab, die in Wahrheit eine Datenleitung war. Er raste durch Kurven und Windungen, reihte sich ein in den Verkehr aus Elektronen und modulierten Protonen“(S.24) laufen für mich ins Leere, weil es eine rein optische Umsetzung von Nennungen ist, die ich noch dazu aus ein paar zu vielen Filmen und musikunterlegten, textarmen Dokus kenne. Während der Folgesatz „Einen Lidschlag später stand er vor etwas, dass der Optitrav ihm als feuerrote Brandschutzmauer präsentierte: Eleas Konsole, durch eine Sicherheitsbarriere vor unbefugtem Zugriff von außen geschützt“(S.24) mich interessiert, weil die Visualisierungen mit Interaktionen verknüpft sind. Es sind genug Anteile zweiterer Art eingebaut, um den Text für mich zugänglich zu halten.

Zum Glück kann ich den weiteren Verlauf nicht verraten, weil ihn nämlich noch nicht kenne. Ich habe mir das Hörbuch zugelegt, gesprochen von Marco Sven Reinbold, der sehr angenehm liest, und werde den Rest des Abends damit verbringen, mir die optischen Eindrücke in akustischer Form zuzuführen und mich dabei der haptisch orientierten Beschäftigung des Sockenstrickens zu widmen. Das stelle ich mir angenehm vor. Bis auf die Passage mit den schmutzigen Holoshirts. Brr.

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