Über Leo Lukas – Spaykels Rache (PR 2852)

In diesem Roman geht es um Spaykels Rache. Atlan ist anscheinend schuld an seinem Leid und nebenbei transportieren er und Vogel Ziellos die tote Lua Virtanen mit sich herum, in der Hoffnung, sie wiederbeleben zu können. So viel habe ich mitbekommen. Die EA lese ich derzeit nur sporadisch. Zu viel Text. Wie soll ich Sense of Wonder, Staunen erleben, wenn das Lesen zur Aufholjagd wird? Im Forum schnappe ich einiges auf und möchte mich ansonsten auf die Informationsvergabe des Romans verlassen können.  Dieser Text hier ist keine Rezension und nicht einmal eine Besprechung. Die Struktur ignoriere ich, und jedes Durchdenken oder Bewerten beginnt bei mir mit der Strukturanalyse. Dies hier ist eher ein Ansprechen. Ich möchte mit dem Text ins Gespräch kommen, ehe ich ihn komplett lese. Mir vorher überlegen, nach welchen Kriterien ich ihn lese.

Eine Bewertung vermeide ich hier – geht gar nicht, wegen des Lesens (wobei solch eine Lappalie nicht jeden hindert, ich weiß) und weil ich diesmal nicht mag. Gerade jetzt nicht. Eine Runde Urlaub! Vor einiger Zeit glaubte ich jemandem, den ich sehr schätze, dass man Romane doch von vorn nach hinten lesen sollte, was ich vorher selten tat. Ich ließ mich mal darauf ein. Das führt zu emotionalerem Lesen, zu mehr Kommentaren, zu einer Mischform aus Analyse und Besprechung. Das Bewerten als Novum in meinem Leben. Hier möchte ich mal wieder ein wenig hin- und herspringen. Bei meinen Impressionen bleiben, Eindrücke schildern.

Ich beginne beim Titelbild. Das steht mir sinnbildlich für die in der EA aktuellen Wirrnisse: Handelt es sich um die anrollenden Wogen eines Ozeans, um bunten, gebrochenen Quarz oder neblige „rolling hills“ mit durch Sinnestäuschung wie wellenartiger Quarz erscheinende Bäume? Das Spitze dahinter müssten Felsen sein, sind jedoch sind sie derart steil spitz wie Konstruiertes. Wer glaubt noch an Horizonte? Alles verschwimmt im Dunst.

Die Gestalten sind mir ebenso unbekannt. Das mit den Mnemo-Korsaren habe ich mitbekommen, trotz bester Vorsätze den Autoren der Vorromane gegenüber aber nicht angefangen. Mit einem war ich diese Woche beschäftigt: CM ist wohl wirklich der einzige SF-Autor der „Palz“ im engeren Sinne. Gesucht hab‘ ich für ein Schulprojekt. Nichts gefunden als ihn, zum Glück ihn und trotzdem nichts gelesen von den Mnemo-Korsaren. Deshalb kann ich über die Natur des vorgeschalteten Spiegelgesichts nur ins Blaue hinein spekulieren. Das rotgelbe, warme Licht, das ins Vogelechsengesicht strömt, und die andeutend weisende Tentakelhand deuten Kontakt an, auch wenn beide in verschiedene Richtungen schauen. Verständigung trotz der Verschiedenheit wäre ein alltägliches Wunder. Ein echtes Wunder und wunderbar. Das Bestaunen ungewöhnlich kombinierter Körperformen an sich wäre nur Gaffen, Sensationseffekt ohne Wunderbares und die Figur potenziell dämliche Hohlform. Ein bocksbeiniger Serunträger mit Technoklumpfüßen und eine Schuppenechse mit Muskelarmen, Federvogelkopf auf dürr gerupftem Hals und unpraktisch angesetzen Echsenhinterbeinen, darunter Schuppiges, am Rücken ein stählerner Schuldkrötenbuckel mit runder Halterung für Zigarren kryptischer Funktionalität.

Nein, das stört mich gar nicht. Nur stellt sich mir von der anzubahnenden Zielsetzung des Lesens her die Frage, ob der Roman eine Huhu-Haha-Aneinanderreihung kleiner bizarrer Effekte wird oder irgendwas Wichtiges. Darauf muss ich achten. Kontakt ist wichtig. Fremdheit ist wichtig. Vielleicht arbeitet LL etwas anderes Wichtiges heraus. Nachbessern möchte ich nicht, nicht nachmotivieren, was fehlt, nicht hinterher erklärt bekommen,wie ich das hätte verstehen sollen. Entweder der Text sagt mir das oder nicht. Doch ich bin leicht zufriedenzustellen hier: situativ haben meine Leselücken den Nebeneffekt, dass ich Kohärenzprobleme in Zweifelsfall gar nicht bemerke, falls sie romanübergreifend auftreten. Multiple Realitäten, Widersprüche? Merke ich eh nicht, weil ich zu viele weiße Stellen habe. In diesem Sinne beginne ich mit dem Textsurfen.

Der Vorlesungsausschnitt von Geoffry Abel Waringer von 412 NGZ informiert mich über die anliegende Anerkennung von Rückahnungen, den Vorahnungen gleichgestellt durch die mangelhaften Speichermöglichkeiten von Positroniken wie Gedächtnis. Reiner Realismus, das Rückahnen, und als solcher ungewöhnlich. Der Name Waringer berührt mich nostalgisch. Verschwommene Vergangenheit. Und dann im Prolog Spaykels Überlegungen zum optimalen Einsatz der Erinnerungen parallel zur Art, wie Schriftsteller auf ihr Gedächtnis zurückgreifen, es verkaufen und damit, richtig platziert, Eindruck schinden und Geld.

Ab jetzt springe ich im Text. „Silber vor die Elstern“ (S.5) gefällt mir. Um Trauer geht es in der Geschichte, um Rache, doch erst mal erinnert sich Spaykel. Und so wie er anfängt, kann das eine ausgiebige Erinnerung werden. Den Anspielungscharakter des Textes, beispielsweise bei der Annäherung der beiden durch den Tod Getrennten, mag ich: „Valkuzz strich Spaykel, als sei nichts dabei, über den Hüftbogen. Ganz leicht. Zart. Zärtlich. Spaykel zuckte zurück. „Angst?“, fragte Valkuzz. „Immer.“ „Muss nicht sein. Muss nun wirklich nicht mehr sein. Unsereins kann auch zwischendurch mal zur Ruhe kommen“ (S.6). Auch assoziative Wortspiele wie das auf ES‘ Heimat Wanderer finde ich ausgesprochen phantasieanregend, viel spannender als eine Actionszene: „Und war nicht sogar der Vorname Perry Rhodans – dem Vogel nie begegnet war und den er doch, wegen der Fülle der überlieferten Geschichten, besser zu kennen vermeinte als sich selbst – eine Kurzform von Peregrinus? […] Scheinbar begriffliche Übereinstimmungen mochten zu Trugschlüssen führen“ (S.11).

Dann die Sache mit dem Lichtholz. Ein wirklich ein spannendes Setting: „Helligkeit bestand nicht wenn man die Augen zusammenkniff, aus winzigen Hobelspänen, oder? An diesem Ort schon.“ (S.8), dann „Kiesel. In das brennende Holz des Unterbodens mischten sich, erst kaum merklich, dann immer spürbarer, Kieselsteine.“ (S.11) Und noch mehr Gegeneinanderlaufen der Charaktere: „Hier herrscht sowieso mehr Schein as Sein, rief Vogel Ziellos sich ins Bewusstsein. […] „Weiter“, drängte Atlan“ (S.11).

Will man dem Forenthread glauben, so enthält der zweite Teil des Romans in Andeutungen gepackten wüsten Splatter. Ich bin gespannt, wie ich die entsprechenden Passagen einschätzen werde. Grundsätzlich würde ich die Grenzlinie folgendermaßen setzen: Gewaltdarstellung wird Splatter, Sexdarstellung wird Porno, wenn kein Bezug zur lebendigen Persönlichkeit oder zu einer den Sinn der Handlung bestimmende Grundaussage aufgebaut wurde. Sollen sie Sinn machen, müssen im Leser Bewältigungsmechanismen greifen können, damit sie sinnvoll werden. In der fiktionalen Realität als einer Spielwelt, in der man sich daran herantasten kann, sich unbefangen und bei eigener Zeiteinteilung damit beschäftigen kann, anders als in der faktisch hingeknallten Realität. Sie müssen so dargestellt werden, dass man als Leser die Ansatzpunkte hat, sie sozusagen in sich zu bewegen oder im Umfeld bewegen zu wollen oder zu können. Um auf diesem Wege ein Gefühl für den Umgang damit zu bekommen. Man merkt, dass ich die Grenzlinie ziemlich weit in den Unterhaltungsbereich setze.

Zur Betäubung, zum Zuknallen sind solche Passagen Splatter und Porno und schlecht. Schund sozusagen. Ob dieser Effekt im Einzelfall dann auf Darstellungsweise des Autors oder die Lesefähigkeit des Rezipienten zurückzuführen ist, bleibt in jedem Fall ein großes Stück weit Diskussionssache. Darüber hinaus: Ob man sich nun betäubt oder erholt (was manch ein Leser geltend macht), wenn man „reduzierte“ Gewaltschilderungen liest, aus der Ferne und klinisch und so bedeckt, dass man gar nicht merkt, was man liest, ist ebenfalls Diskussionssache. Ich mag diese alten Schilderungen von Raumschlachten und so – doch einmal hatte ich zufällig gerade Wolfgang Borchert gelesen vor Scheer, danach konnte ich kaum paar Sätze davon ertragen. Weil eben so viel ausgeblendet wurde, das unweigerlich geschehen muss. Die klinisch reine Vernichtung aus der Distanz. Und dann lese ich die Gewalt doch lieber direkt.

Schrieb ich im Forum. Inzwischen habe ich nun mal die ersten Seiten hinter mir und den Roman angetastet, angesprochen. Ob er wiederum mit mir redet, wird sich herausstellen. Ebenso, ob sich die Assoziationen ins Willkürliche weiterspinnen oder Sinn ergeben, was ich wunderbar fände in einer zerlaufenden Welt. Und ob die Gewalt Splatter ist. Ob das von Gesicht zu Gesicht strahlende rotgelbe Licht des Titelbildes echte Wärme verkündet oder eine schnell verblassende Masche. Wir werden sehen.

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