Kellerprinz

„Wir müssen dem Froschkönig helfen!“ Juliane zitterte vor Aufregung.
„Hä wieso“, begann Jonas. Ich seufzte. Natürlich nur innerlich. Äußerlich setzte ich jene strenge Miene auf, die die Kinder zum Schweigen brachte.

„Was ist los?“, fragte ich.
Das Mädchen rang nach Atem.
„Mir war die Flasche die Treppe runtergefallen, und da bin ich nachgelaufen. Sie lag am Heizkeller, und wie ich sie aufheben wollte, da quakte es hinter der Tür. Da bin ich reingegangen und sah den Froschkönig. Wir müssen ihm helfen!“
Alle Kinder starrten Juliane an. Sie hob die Hände an die Wangen.
„Jetzt gleich“, rief sie.

Alice war die erste, die aufsprang. Tim folgte. Mit ungeheurer Geräuschentwicklung polterte die Klasse die Treppe hinunter.
Was sollte ich tun als den Kindern zu folgen? Ich hatte die Aufsichtspflicht. Und sie waren zu laut.

Der Heizungskeller stand offen, und es war keine Heizung mehr dort. Die Kinder staunten, aber sie gingen hinein. Als ich ihnen in die weite Marschlandschaft folgte, schnappte die Stahltür hinter uns zu wie ein satter Kiefer.

Bald erreichten wir ihn. Der Froschkönig trug eine Krone. Er saß auf einem bemoosten Felsen inmitten eines trüben Teichs und quakte, als wir näher traten. Aus dem Wasser ragte eine schuppige Nase, aus deren Nüstern Flämmchen züngelten.

„Frau Friedrich, Sie müssen ihn küssen“, riefen die Kinder. „Sonst frisst ihn der Drache.“
Doch alle verstummen, als ich mich niederbeugte.

Im trüben Grün erblickte ich mein Gesicht. Auch ich trug eine Krone, und ohne Belehrung wusste ich Bescheid. Als die schuppige Nase näherkam, küsste ich sie und dann hielt ich den Prinzen fest, der eilig das Wasser verließ.

Kindermünder standen offen, „Er tut dem Froschkönig nichts“, versicherte ich. Beim Verlassen des Kellers nahm ich die Arbeitskleidung des Hausmeisters vom Haken und drückte sie dem Prinzen in die Hand.
„Hoch in die Klasse und macht einen Aufsatz draus, wie es dem Froschkönig geht“, befahl ich. „Los!“

Ich würde den Prinzen mit nach Hause nehmen und behalten. Gleich nach dem Läuten!

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11 Comments

  1. „Er tut dem Froschkönig nichts“. Dann ist ja wohl – äh – für alle gesorgt …
    Wie geil. Ich bin immer noch ganz sprachlos.
    (Ich war in der falschen Schule.)
    Liebe Grüße
    Christiane

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    1. Aber Christiane, man muss wirklich auch an den armen Froschkönig denken.
      In diesem Schuljahr habe ich nachmittags eine Doppelstunde Fünft- und Sechstklässler aus fünf verschiedenen Klassen, Deutsch Förder. Wir denken uns immer Geschichten aus oder Szenen. Irre anstrengend, aber das beschäftigt sie. Anscheinend bleibt bei mir auch was hängen.
      Danke für die aufbauenden Worte!

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      1. Dass bei dir was hängen bleibt, kann ich mir nicht anders vorstellen, ich hoffe mal, dass auch bei denen was hängen bleibt, idealerweise die Lust, sich auszudrücken.
        Lesen die überhaupt noch analog?

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