Frühlingsgefühle

Die Spatzen flitzten hin und her, fedrige warme Leiber inmitten der Weißdornblüte und den silbrigen Blättern der Weide, die vor dem Badfenster wuchs. Zeit für Frühlingsgefühle, dachte sich Emil und brummte den alten Schlager vom Lenz und Veronika. Veronika … Vera hieß sie und würde mit ihm am Grab stehen, so dass er die ganze Ansprache hindurch Zeit haben würde, ihren Blick zu suchen, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, um dann, beim Leichenschmaus, rein zufällig neben ihr sitzen zu können – der Onkel war eh schon alt gewesen, überlegte er, da war das in Ordnung, das Leben siegt über den Tod.

Schwungvoll schob er den Duschvorhang beiseite, trat tropfnass auf den Vorleger und hielt inne, als er den Käfer neben seinem Zeh bemerkte. Das Tierchen flog los, setzte sich nach einer gesirrten Runde auf den Spiegel, krabbelte weiter. Emil nahm ein Papier, setzte ihn aufs Fensterbrett und trug dem Geretteten auf, ihm Glück zu bringen.

Aus dem kühlen Dunkel der Friedhofskapelle trat die Trauergemeinde in den Mittagssonnenschein, auch Vera und er, um dem fettig glänzenden, lackschwarzen Sarg zu folgen. Lichter tanzten in Veras blonden Locken, und ihre runden Schultern, ihre zarte Figur im dunklen Kostüm erfüllten ihn mit Vorfreude. Wenn das hier vorbei war, könnte er sie einladen zu irgendwas, um über ihre Trauer zu sprechen oder so … er räusperte sich und schluckte, als er den Käfer in ihren Haaren bemerkte. Sie zwinkerte, schlug die Augen auf, blau und käfergrün schillernd, während das Tierchen über ihre Stirn krabbelte, über ihre Nase, ihre Lippen …

Ein Glück, überlegte er schwach, dass immer wieder das Leben über den Tod triumphierte, im Frühling.

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Als neues Spielzeug habe ich die abc.etüden entdeckt – es gibt jede Woche drei Wörter, aus denen man eine Geschichte aus maximal zehn Sätzen macht.

Die verlinkt man mit dem Blog »Irgendwas ist immer« https://365tageasatzaday.wordpress.com/ – kenne ich noch nicht, sieht freundlich aus.

Die aktuelle Wortspende – Duschvorhang Leichenschmaus Frühlingsgefühle – stammt von meiner vertrauten Blognachbarin Annette Mertens https://ruhrkoepfe.wordpress.com/2017/04/16/frohe-ostern/.

4 Comments

  1. Kein Ping bei mir, liebe Alexandra, den Ping hast du vermutlich zu Annette geschickt; damit es pingt, muss man nämlich einen Beitrag verlinken, keine Startseite. Aber sich per Kommentar zu beteiligen ist völlig okay, ich musste dich bei mir nur erst freischalten.
    Dann hallo und willkommen im 10-Sätze-Wahn! Ein toller Einstieg, deine Etüde liest sich sehr beschwingt und frühlingshaft.
    Liebe Grüße
    Christiane

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